Montag, 29. Januar 2018

Predigt von Norbert Wohlrab (28.01.18)

Prinzipien biblischer Schriftauslegung


1. Einleitung

Ich möchte heute mal über grundlegende Prinzipien biblischer Schriftauslegung reden. Ich habe in der Kommunikation mit anderen festgestellt, dass da doch einige sehr unterschiedliche Ansichten vorherrschen.

Ich möchte heute nicht darüber reden, wie Gott zu uns spricht. Gott kann durch sehr viele verschiedene Kanäle - so wie es ihm gefällt - zu uns reden. Durch Menschen, durch die Natur, durch Gedanken, durch die Bibel etc. Darum geht es mir heute nicht.

Und ich kann auch keinen vollständigen Überblick über das Thema geben. Dazu bin ich erstens wirklich nicht kompetent genug und zweitens reicht dazu die Zeit auch nicht. Ich möchte heute nur eine Basis legen.


2. Die Inspiration der Heiligen Schrift 


Grundlage all unserer Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift ist, dass wir davon ausgehen, dass sie von Gott inspiriert ist. Hierzu zunächst einige Bekenntnisse.

Glaubensbasis der Evangelischen Allianz (1846)

Wir bekennen uns…
zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung,…

Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel (1978)

Artikel III
Wir bekennen, dass das geschriebene Wort in seiner Gesamtheit von Gott gegebene Offenbarung ist.

Artikel VI
Wir bekennen, dass die Schrift als Ganzes und all ihre Teile bis zu den einzelnen Wörtern des Urtextes von Gott durch göttliche Inspiration gegeben wurden.

Artikel XII
Wir bekennen, dass die Schrift in ihrer Gesamtheit irrtumslos ist und damit frei von Falschheit, Betrug oder Täuschungen.

Diese insgesamt 19 Artikel sind Grundlage eines großen Teils der evangelikalen Christenheit.

Aber was heißt das praktisch bezogen auf die Auslegung der Heiligen Schrift?

Zunächst die wichtigste Bibelstelle aus dem NT zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift:

„Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit,“ (2. Tim. 3,16 Rev. Elb.)

„Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen.“ (2. Tim. 3,16 NGÜ)
Was steht hier?

Alle bedeutet aus unserer heutigen Sicht die ganze Bibel. Aber an was hat Paulus gedacht? Es gab ja noch kein NT.

Er dachte zuerst an die jüdische Bibel. Unser AT.
Er hat den Brief an Timotheus in seiner zweiten Gefangenschaft in Rom, ca. im Jahr 67 geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten der Schriften unseres heutigen NT schon geschrieben. Die Evangelien, die Apostelgeschichte und viele der Briefe. Lediglich der zweite Petrusbrief, der Judasbrief und die Offenbarung des Johannes sind jüngerem Datums.
Paulus war sich seines göttlichen Auftrags und seiner apostolischen Autorität bewusst. Könnte es daher sein, dass er auch seine Briefe und die der anderen Apostel im Blick hatte?
Und tatsächlich gibt es Bibelstellen, die sie auf eine gemeinsame Ebene mit dem AT stellen.

Petrus schreibt:

„Und seht in der Langmut unseres Herrn die Rettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet. In diesen Briefen ist einiges schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.“ (2. Petr. 3, 15.16 Rev. Elb.)

 
Petrus ordnet hier die Briefe des Paulus - wenn auch als schwer verständlich - den Schriften zu.

Ein weiterer Hinweis findet sich bei Paulus:

„Denn die Schrift sagt: "Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden", und: "Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.““ (1. Tim. 5,18 Rev. Elb.)

Hier werden eine alttestamentliche Quelle (5. Mose 25,4) und eine neutestamentliche Quelle (Lk. 10,7) auf eine gleichrangige Ebene gestellt und beides als Schrift bezeichnet.

Wir kommen also zu dem Ergebnis, dass Paulus hier zwar noch nicht an das NT in der uns vorliegenden Form gedacht hat, wir aber seine Aussage durchaus auf den ganzen neutestamentlichen Kanon beziehen dürfen.

Eingegeben. „Theopneustos“. (Lässt sich mit medizinischen Kenntnissen ganz leicht ableiten.) Wörtlich „gottgehaucht“.
Es bedeutet durch den Heiligen Geist inspiriert worden zu sein. Das Wort kommt nur an dieser Stelle im NT vor. Petrus beschreibt den ähnlichen Vorgang als „getrieben von Heiligem Geist“ (2. Petr. 1,21).

Wir kann man sich das vorstellen? War es eine verbale Wort-zu-Wort-Inspiration oder hat der Heilige Geist nur dem Sinn nach eingehaucht? Oder war es vielleicht eine Kombination aus beiden?

Letztlich wissen wir es nicht. Aber Fakt ist, dass die Bibel von über 40 Menschen niedergeschrieben wurde. Und das man bei vielen Büchern deutliche Unterschiede im Schreibstil feststellen kann. Allein im NT besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen den Briefen des Paulus (logisch argumentierend) und denen des Johannes (eher einfach Sätze, aber tiefgründig, fast philosophisch, immer die Liebe hervorhebend). Der Heilige Geist hat also die Persönlichkeit des Schreibers nicht übergangen.

Ich nehme für mich keine apostolische Autorität in Anspruch. Aber auch wenn ich eine Predigt vorbereite, verlasse ich mich auf die Leitung des Heiligen Geistes und ich vertraue darauf, dass ich - mehr oder weniger - seine Impulse wiedergebe. Und manchmal ist vielleicht ein einzelner Satz dabei, wo ich mir dann hinterher denke: Wow, super Formulierung, wo kommt die denn jetzt her?

Oder wenn wir evangelistische Gespräche führen, erleben wir doch auch, dass der Geist Gottes uns manchmal übernatürliche Gedanken gibt. Vielleicht kann man sich das einhauchen so ähnlich vorstellen, nur dass es beim Entstehen der Bibel noch mal auf einer höheren Ebene stattfand. Damit am Ende das heraus kommen konnte, was Gott wollte. Und jetzt sind wir beim nächsten Wort.

Schrift. Und hier vollziehen wir manchmal einen Denkfehler. Denn die ganze Bibel ist Gottes Wort, in dem Sinne, dass alles so niedergeschrieben wurde, wie er es wollte, aber die ganze Bibel ist nicht Gottes Wort, in dem Sinne, dass alles sein Reden ist.

Luther sagte, dass man zuerst fragen muss: Wer spricht da? Denn die Bibel enthält Reden von Gott, von Jesus, von göttlich beauftragten Personen, aber sie enthält auch Reden von ganz normalen Menschen und auch von schlechten Menschen, von Gläubigen und Ungläubigen, von der Weisheit und sie enthält sogar Reden des Teufels und sie enthält sehr viele Beschreibungen.
Gott hat gewollt, dass alles so niedergeschrieben wurde, aber nicht alles ist sein Reden.

Deutlich wird dies beispielsweise bei der Entstehung der jüdischen Bibel.
Die jüdische Bibel (Tenach) ist anders aufgebaut als unser AT. Sie besteht aus drei Teilen:


1. der Tora (Weisung) = die fünf Bücher Mose
2. den Nebi´im (Propheten) = Josua, Richter, Samuel, Könige, die drei großen Propheten (Jesaja, Jeremia, Hesekiel) und die 12 kleinen Propheten
3. den Ketubim (Schriften) = Psalmen, Hiob, Sprüche (Poetischen Bücher), Ruth, Hoheslied, Prediger, Klagelieder, Ester (Fünf Rollen) und Daniel, Esra-Nehemia und Chronik (Historische Bücher)
Diese Dreiteilung drückt eine Wertigkeit, eine Rangfolge bzgl. des autoritativen Ranges aus. Nicht weil sie nicht als inspiriert gegolten hätten, sondern weil Unterschiede im Reden Gottes darin zu finden sind.

In den Tora hat Gott selbst mit Mose gesprochen, er hat die Gebote in Stein gemeißelt, das Gesetz wurde übermittelt.
Die Propheten haben Gottes Offenbarungen in Träumen und Visionen empfangen.
Wogegen die Schriften überwiegend Berichte, Weisheiten und Lieder beinhalten und nur wenig Reden Gottes und damit nur einen niedrigen Rang einnehmen Sie duften auch nicht miteinander verbunden werden.

Deshalb gebraucht Paulus in seinem Schreiben an Timotheus auch dieses merkwürdige Wort:

Nützlich. Alle Schriften sind nützlich. Gottes Wort nur nützlich? Ist das nicht eine etwas schwache Formulierung? Aber es ist die richtige Formulierung, weil die Bibel nicht nur autoritativ ist, sondern eben neben Gottes heilbringenden, ermahnenden, ermutigenden, gebietenden, belehrenden usw. Reden eben auch viele Texte enthält, in denen Gott nicht spricht, sondern die einfach nur hilfreich für unser Leben als Gläubige sind.

„damit der Mensch Gottes richtig sei, für jedes gute Werk ausgerüstet.“ (2. Tim. 3,17 Rev. Elb.)


3. Spielregeln der Auslegung

Früher hat man üblicherweise vermittelt bekommen, dass wir beim Bibellesen fragen sollen, was hat mir heute dieses Wort, dieser Vers zu sagen? Was will mir Gott damit vermitteln?

Das ist keine verkehrte Frage. Es geht ja darum, dass ich erkennen soll, was mir ein Text zu sagen hat und wie ich ihn anwenden kann. Aber das ist nicht die erste Frage. Denn bevor ich erkennen kann, was mir ein Text zu sagen hat, muss ich erst mal erkennen, was in dem steht. Denn sonst laufe ich Gefahr, meine eigenen Gedanken in den Text hineinzu-lesen. Wir sind alle mit Voreingenommenheit belastet.

Dabei gilt es grundlegende Prinzipien der Hermeneutik (Wissenschaft und Kunst der Auslegung) zu beachten. Paulus sagt Timotheus er soll das Wort „in gerader Richtung schneiden“ (2. Tim. 2,15), d.h. in der rechten Art und Weise auslegen.

Wer entscheidet, wenn wir heute einen Brief bekommen, welche Bedeutung die Worte haben? Der Empfänger oder der Absender? Natürlich der Absender.

Wenn wir die Bibel als Gottes inspiriertes Wort ernst nehmen, dann müssen wir erkennen was Gott damals gesagt hat. Daher müssen wir beim Lesen eines Textes verstehen:

  • wer (und auch zu wem)
  • was
  • wann
  • wo
  • warum
  • wie
sagte bzw. ausdrückte.

Wenn wir gemeinsam ein Spiel spielen wollen, brauchen wir dazu dieselben Regeln. Bei Schach ist das noch relativ klar. Bei Uno ist das schon schwieriger, da gibt es viele verschiedene Regeln. Aber es gibt auch einheitliche offizielle Regeln, z.B. dass man die farbige 4-Ziehen-Karte nur spielen darf, wenn man die liegende Farbe nicht hat. Hab ich neulich erst gelesen. Das weiß kaum jemand.
Wenn wir die Bibel auslegen wollen, brauchen wir klare Regeln, sonst kann Unsinn heraus kommen. Dann wird die Bibel gedehnt wie Kaugummi und der eine sagt: „Das bedeutet für mich dies.“ und der andere: „Für mich bedeutet es jenes.“

Sicher gibt es Stellen, die nicht einfach zu verstehen sind, aber Gott hat uns vermutlich nicht sein Wort gegeben, damit es der Beliebigkeit anheim fällt, dadurch dass es von jedem interpretiert wird, wie er möchte.

Bei dem „Spiel“ der Bibelauslegung gibt es eine Spielkarte, die ist eine Trumpfkarte und sticht alle anderen Karten. Und dieser Trumpf heißt: Kontext. Das richtige Verständnis eines Textes ist nur in seinem Kontext möglich.

Die einzig mögliche Bedeutung eines Textes ist das, was der göttliche und der menschliche Verfasser zum Zeitpunkt des Verfassens ausdrücken wollten. Die beabsichtigte Bedeutung eines Textes ist die Bedeutung eines Textes. Daran kann man nicht rütteln!

Das ist uns bei jedem anderen Schriftstück selbstverständlich bewusst und wird automatisch so gehandhabt:

  • wenn ich ein Zeugnis in der Hand halte, weiß ich das es nicht meins ist, wenn nicht mein Name drauf steht, sondern es ist das Zeugnis der Person, dessen Name drauf steht
  • wenn ich einen Strafzettel bekomme, weiß ich, dass ich ihn zu zahlen habe und es keine Gutschrift ist
  • wenn ich eine Rechnung erhalte, auf der steht: Zahlbar innerhalb von 14 Tagen, weiß ich das die Frist jetzt beginnt und nicht wieder neu beginnt, wenn ich die Rechnung erst mal weglege und den Satz dann vielleicht erst in drei Wochen wieder lese.
Es gibt sicher noch viele bessere Beispiele, bei denen wir ganz automatisch den richtigen Kontext anwenden. Nur bei der Bibel wollen wir ihn manchmal nicht beachten. Vielleicht auch, weil wir es durch die Losungen gewohnt sind, nur kleine Happen zu uns zu nehmen.

Die heutige Interpretation einer Bibelstelle kann nicht das Gegenteil bedeuten von der ursprünglichen Intention.

Stell Dir vor das Polizeipräsidium, dass mir den Strafzettel geschickt hat, hat seine Adresse in der Rosenstraße. Dürfte dann jmd. der ihn 2000 Jahre später findet, automatisch davon ausgehen, dass es sich deshalb dabei um einen Liebesbrief handelt. Natürlich nicht. Die ursprüngliche Intention ändert sich nicht. Aber die Interpretation wird schwieriger, weil es dann in 2000 Jahren vielleicht gar keine Strafzettel und auch kein Polizeipräsidium mehr gibt.

Das macht die Interpretation der Bibelstellen schwierig, weil wir mehrere Klüfte zu überwinden haben:

  • zeitlich (2000 - 3600 Jahre)
  • geographisch (über 3000 km)
  • kulturell (Orient)
  • linguistisch (andere Sprachen, andere Buchstaben)
  • literarisch (andere Gattungen)
  • heilsgeschichtlich (andere Epoche der Heilsgeschichte).

4. Grundprinzipien der Auslegung

Nochmal ein Artikel der Chicagoer Erklärung:

Artikel XVIII
Wir bekennen, dass man den Text der Bibel durch grammatisch-historische Exegese auslegen muss, indem man die literarischen Formen und Wendungen berücksichtigt…

Das ist jetzt nichts Liberales, sondern evangelikalste Anschauung.

Es gibt einige grundlegende Prinzipien bei einer grammatisch-historischen und den Kontext beachtenden Schriftauslegung:
 

1. Ferner Kontext
Was war das Anliegen des Autors des Buches? Jede Bibelstelle existiert in dem Kontext der ursprünglichen Absicht. Manche Verse bekommen eine veränderte Bedeutung, wenn wir den Zweck eines Briefes kennen.

2. Literarische Gattungen
Die Bibel enthält verschiedene Textgattungen: das Gesetz, Geschichte und Erzählungen, Poesie, Weisheitsliteratur, Prophetie, Evangelien, Briefe. In welcher Gattung steht der Text?
Das AT besteht zu 40% aus Erzählungen. Das was Menschen in diesen Erzählungen tun ist nicht immer vorbildhaft und wird meist auch nicht bewertet. Dort wird gelogen, gestohlen, gemordet, die Ehe gebrochen, Götzen angebetet usw. Es geht dabei um die Geschichte Gottes mit den Menschen und mit seinem Volk und nicht darum, dass wir das Verhalten nachahmen.
Bspw. ist die Vorgehensweise wie Elieser eine Braut für Isaak sucht keine Anleitung für christliche Brautwerbung.
In den Psalmen werden keine Lehren vermittelt, sondern es sind niedergeschriebene Lieder und Gebete mit all den Dingen, die die Schreiber am Herzen hatten.
Die Sprüche enthalten Weisheiten, die allgemeine Richtlinien beinhalten, aber keine immer gültigen Prinzipien. Der Faule kann auch mal aufstehen und muss nicht immer im Bett bleiben, wenn sich die Tür in der Angel dreht. (Spr. 26,14).

3. Heilsgeschichtlicher Kontext
In welchem heilgeschichtlichen Kontext steht der Vers?
Das Verbot für Frauen Männerkleidung zu tragen (5. Mo 22,5) steht im Gesetz des Mose und gilt nicht für uns.
Die Abgabe des Zehnten von Abraham an Melchisedek (1. Mo 14) steht zeitlich noch vor dem Gesetz und gilt für gar niemanden. Es war eine freiwillige Abgabe Abrahams von 10% seines Raubes und wird nirgends zur Nachahmung empfohlen. (Die Bibelstelle wird gerne von denen hergenommen, die den Zehnten lehren.)
Die Aufforderung gastfrei zu sein dagegen finden wir als mehrfachen Imperativ in den ntl. Briefen und damit gelten sie für uns.
Schwieriger wird es dann bei den Reden Jesu. Sie stehen im heilgeschichtlichen Kontext des Gesetzes, haben aber vielfach trotzdem auch Bedeutung für die Gemeinde. Hier muss man immer sehr genau hinschauen.

4. Naher Kontext
Wie ist der direkte Zusammenhang einer Bibelstelle?
Wer redet zu wem? Werden Gläubige oder Ungläubige angesprochen, Jünger oder Pharisäer, einzelne oder viele usw.?
Was kommt kurz davor oder danach?

Christen neigen ganz besonders dazu Verse aus dem Zusammenhang zu reißen. Im Koran gibt es keinen Zusammenhang. Aber in der Bibel gibt es einen Kontext.

Wenn ich bspw. zu X sage: „Bring mir bitte vom Bäcker einen Kaffee und ein Croissant mit. Ich komme für alle Kosten auf.“ hat eine ganz andere Bedeutung, als wenn X nur den zweiten Satz hernimmt: „Ich komme für alle Kosten auf“ und künftig mit jeder Rechnung zu mir kommt und sagt: „Du hast doch gesagt, dass Du für alle Unkosten aufkommst.“ Der zweite Satz gilt nur im Zusammenhang mit dem ersten Satz.

Das beste Beispiel ist:

„ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“ (Phil. 4,13 Luth 2017)

Der Vers muss oft herhalten um auszudrücken, dass mir durch Gott alles möglich ist. Betrachtet man jedoch den Kontext wird deutlich dass
a) Paulus hier Zeiten des materiellen Überflusses und des Mangels meint „Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden;“ (V.12)
b) seine persönlichen Erfahrungen schildert
c) den Philippern im Anschluss für ihre Spende dankt 
Es ist also keine Verheißung um Unmögliches anzugehen, sondern allenfalls eine Ermutigung durchzuhalten, wenn man sich in einer ähnlichen Situation des Mangels befindet.

Ein andere bekannte Geschichte für aus dem Kontext gerissenes Bibellesen ist der junge Mann, der den Willen Gottes für sein Leben suchen wollte und sich dazu entschieden hat, exakt das zu tun, was die Bibelstelle zu ihm sagt, die er als erstes aufschlägt:

Mt. 27,5 „und machte sich davon und ging hin und erhängte sich“
Lk. 10,37 „Geh hin und handle du ebenso!“
Joh. 13,27 „Was du tust, tu schnell!“


5. Wortstudie
Woher kommt das Wort?
Welche Bedeutung hatte das Wort für den Adressaten?
Hat sich die Bedeutung des Wortes über die Jahrhunderte verändert?
(z.B. elend bedeutete ursprünglich heimatlos, landlos, vertrieben und heute eher arm oder sich schlecht fühlen)

6. Grammatik
Welche Teile hängen voneinander ab?
(z.B. 1. Kor. 11,12 unwürdig = Adverb und  bezieht sich auf die Art und Weise des Einnehmens des Abendmahls und nicht auf die Person)

7. Biblische Parallelstellen
Helfen andere Stellen bei der Interpretation?
(z.B. Glaube allein oder durch Werke? Jak. 2,24)

8. Harmonie der Schrift
Was lehrt der Rest der Schrift über ein Thema?
Die Auslegung einer Stelle kann nicht konträr zur Gesamtschau der Bibel sein.

9. Historischer Hintergrund
Welche historischen Begebenheiten gab es zu der Zeit?

10. Ursprüngliche Bedeutung und Absicht
Wie hätten es die Adressanten damals verstanden?

Zusammenfassend gilt: es geht nicht darum was wir gerne verstehen möchten, sondern um die Absicht des Autoren.


5. Schluss

Erst wenn ich die Aussage eines Textes verstanden habe, kann ich fragen was er mir zu sagen hat.

Manche der Prinzipien sind einfach anzuwenden, für manche braucht man Kommentare und Sekundärliteratur. Den Kontext beachten, kann man meist schon ohne weitere Hilfsmittel.

Es geht letztlich nicht darum ein Bibelgelehrter zu werden, wobei ich es schon sehr faszinierend finde, in die Tiefen der Schrift einzutauchen, sondern es geht um unsere Zurüstung.

„So ist also der, der Gott gehört und ihm dient, mit Hilfe der Schrift allen Anforderungen gewachsen; er ist durch sie dafür ausgerüstet, alles zu tun, was gut und richtig ist.“ (2. Tim 3.17 NGÜ) 


AMEN.

Für umfangreichere Studien verweise ich auf die Seminarreihe "Bibellesen mit Gewinn" der ECG Berlin: Bibellesen mit Gewinn

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